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Daniel Vieser . Architekturfotografie, Hildesheim/Karlsruhe

Rollende Räume.

Daniel Vieser . Architekturfotografie
Gerade den ganzen Tag fotografiert nehme ich einen IC zurück nach Hause. Es ist eigentlich der Nachtzug nach Wien, aber es wurde ein IC-Wagon dazugehängt. In den steige ich ein, betrete mein Abteil und fühle mich dreissig Jahre meines Lebens zurückversetzt (ja, in meinem Alter geht das). Ich finde mich wieder in einem Wagen, den ich von Zugreisen Mitte der 80er-Jahre kenne, als Fernzüge zwischen meiner alten Heimat Offenburg und dem Ruhrgebiet noch durch das obere Mittelrheintal zwischen Mainz und Bonn fuhren und man streckenweise fast auf Höhe des Flußlaufs durch die Landschaft rollte.
Ich schweife ab, zurück zum Abteil. Diese Weite! Die fiel mir als Erstes ins Auge. Ich wusste nicht, dass es einmal so viel Platz gab, 80 Zentimeter zwischen den Sitzreihen. Die sind einladend wie ein Sofa, bezogen mit einem grünen Veloursstoff und haben Armlehnen, auf denen zwei (zierliche) Unterarme Platz finden. Die Gepäckablagen und Tür- und Fensterrahmen sind lackiert mit diesem gelbbraunen Glimmerlack, den ich eigentlich mit den 50er-Jahren verbinde. Das ganze vor dem Hintergrund eines Holzimitats, dessen Maserung ich beim besten Willen keiner Holzart zweifelsfrei zuordnen kann. Ich tippe auf Buche. Und jeder Sitzreihe gegenüberliegend ein kleiner Spiegel im Panoramaformat, der jedem die Gelegenheit gab, sein Äußeres auf dem Niveau dieses Wohnzimmers zu erhalten.
Nun könnte ich weitermachen mit den Ausklapp-Kaffeetischchen, den Leselämpchen, den Vorhängen. Aber ich wollte eigentlich über etwas anderes sinnieren. Hat ein Zug etwas mit Architektur zu tun? Er besteht immerhin aus Räumen, erschlossen mit Eingängen und Fluren. Die Räume sind laufend in Bewegung, sind mal hier, mal dort. Aber sie bieten einen Aufenthaltsort, bringen unwillkürlich Menschen in eine zeitweilige Beziehung, es entsteht so etwas wie Nachbarschaft. Es wird gestritten über den knappen Platz, über Grenzverläufe, es werden Lebensmittel ausgetauscht, man kann sich riechen oder eben nicht. "Umzüge" werden bedauert, gleichgültig oder erleichtert zur Kenntnis genommen. Und das alles in einem Ding, das für manche nur "Verkehrsmittel" ist. Wenn man nun noch WCs und Bordrestaurant und womöglich noch Schlafwagen hinzubedenkt, so ist man doch schnell bei einem Wohnquartier auf Rädern. Ein Haus, in dem man länger gelebt hat, weckt ebenso Erinnerungen, ist weit mehr als Material und Konstruktion. Wir verbinden uns mit ihm, es bekommt für uns eine Bedeutung.

Links

Intercity bei Wikipedia

Mittelrheintal bei Wikipedia